Ich habe sicher noch nie eine Aktie oder ETF gekauft, ohne vorher dessen Kursverlauf in einem Chart zu betrachten. Wenn ich beispielsweise eine Investition in den Emerging Markt mit einem ETF machten möchte, könnten die Fundamentaldaten eher für Brasilien oder Südkorea sprechen als für andere Länder. Letztendlich wird aber der Kursverlauf meine Entscheidung sehr stark beeinflussen. Ich würde sehen, dass seit März 2006 der Kursverlauf der beiden ETFs sehr ähnlich ist, aber die Rendite und das Risiko beim ETF von Brasilien höher wiegen. Beim Betrachten vieler Charts habe ich bemerkt, dass Unterstützung und Widerstand oftmals existieren, daher muss dieses Muster sehr geläufig sein.
Ich besitze schon längere Zeit das Buch “Technische Analyse der Finanzmärkte von John J Murphy”, siehe unten meine Buchkritik. Was mich von der Chartanalyse abhält, ist die Aussage dieses Buch:
Das Lesen von Charts bleibt natürlich in gewisser Weise subjektiv. Zum grössten Teil beruht der Erfolg der Methode auf den Fähigkeiten der jeweiligen Chartisten. Weil das Lesen von Charts zum grössten Teil eine Kunst ist, wurde der Begriff “art charting” geprägt.
Mir stellte sich die Frage: Werde ich diese Kunst jemals so beherrschen, dass ich den Markt schlagen kann und wann wird dies sein?
Gegen den gesamten technischen Ansatz spricht die Random-Walk-Theorie, d.h. die Kursbewegungen sind zufällig und nicht vorhersagbar.
In einigen Büchern, die ich bisher gelesen habe, kommt die technische Analyse und das Momentum-Investing schlecht weg, dazu zwei Beispiele:
- Der neue Aktien-Berater, Uwe Lang: Dieses Buch gibt ab Seite 85 einige Beispiele aus den Jahren 1998 und 2001 wie die technische Analyse nicht funktioniert hat.
- Souverän Investieren, Gerd Kommer: Dieser kommt zum Schluss, dass die technische Analyse zweit weise funktioniert, aber der Zeitpunkt des Funktionierens nur im Nachhinein erkannt wird.
Ich persönlich glaube, dass die Anleger-Magazine wie “Der Aktionär”, “Börse Online” oder die Fernseh-Chartisten wie wahrscheinlich fast alle Privatanleger sowieso nicht die Fähigkeit haben diese Technik richtig anzuwenden. Es gibt aber Studien über den Erfolg von Chartpattern und statistische Methoden, wobei die Resultate sehr unterschiedlich dennoch eher positiv ausfallen. Eine Zusammenfassung der Resultate unter “What Do We Know about the Profitability of Technical Analysis??? und andere Texte zum Thema “Simple Technical Trading Rules and the Stochastic Properties of Stock Returns??? .
Übrigens an Software für die technische Analyse und für die Entwicklung eines eigenen Handelssystems mangelt es nicht. Es gibt sogar Chart Pattern Recognition (CPR) – Software, der Autor des schon erwähnten Buches der die Chartanalyse als Kunst einstufte, wird als Mitinitiator eines CPR-Plugings genannt. Die Software beherrscht scheinbar die Kunst Kopf-Schulter‑, inverse Kopf-Schulter Kopfschulter-Formation, Dreifach-Spitzen und –Böden usw. zu erkennen. Bei meiner Internetrechere bin ich noch auf eine andere CPR-Software den Ramp Pattern Recognition Scanner gestossen.
Das Charting, Michael Saul war das erste Buch, das ich über Chartanalyse lass, mit seinen zirka 170 Seiten kann die Technik natürlich nicht so tiefgründig erläutern wie im folgenden Buch:
Technische Analyse der Finanzmärkte mit Workbook, John J Murphy
Im Kapitel 1 geht es um die Philosophie der technischen Analyse (TA), dabei wird auch auf die Kritikpunkte des technischen Ansatzes eingegangen. Im weiterem erfährt der Leser, dass die TA auf verschiedene Zeithorizonte und Handelsgegenstände angewendet werden kann.
Bevor es im Kapitel 3 um die Konstruktion von Charts und dem Unterschied von arithmetischer und logarithmischer Skale geht, wird im Kapitel 2 mit der Dow-Theorie, der Grundstein der TA besprochen. Kapitel 4 definiert den Trend mit den drei Richtungen aufwärts, abwärts und seitwärts zudem gibt es die drei zeitlichen Klassifikationen langfristig, mittelfristig und kurzfristig. Weiter geht es mit Unterstützung und Widerstand, danach dem korrekten Zeichnen von Trendlinien und –kanäle prozentual Retracements, Speed Resistance Linien, Umkehrtage und Kurslücken. In Kapitel 5 werden Umkehrformationen des primären Trends wie Kopf-Schulter-Umkehrformation, Dreifach-Spitzen und –Böden, Untertassen und V‑Formation usw. vermittelt. Der Abschluss der Chartformationen erfolgt mit den Fortsetzungsformationen wie Dreieck‑, Flaggen‑, Wimpel‑, Keil- Rechteck- und Kopf-Schulter-Konsolidierungs-Formation. Kapitel 7 bindet den Umsatz und Open Interest in den verschiedenen Finanzmärkten in den Prognoseprozess ein. Langfristcharts eignen sich für den primären Trend und Kursziele zu bestimmen, nicht aber für Ausführung von Kauf- und Verkaufsentscheidungen erfährt man im Kapitel 8. Im Kapitel 9 geht es um gleitende Durchschnitte, dabei werden auch Bollinger Bänder und Prozentbänder besprochen, da gleitende Durchschnitte nur in Markt mit einer Trendphase funktionieren werden im folgenden Kapitel Oszillatoren und Contrary Opinion beschrieben. Point & Figure Chart bzw. japanische Candlstick-Chart ist der Inhalt der Kapitel 11 und 12. Die Elliott-Wellen-Theorie welche ursprünglich für die grossen Aktienindizes entwickelt wurde, wird ausführlich im Kapitel 13 diskutiert. Es gibt scheinbar verschiedene Zeitzyklen, die in der TA benutzt werden könne, das ist der Inhalt von Kapitel 14. Zwei Kapitel widmen sich mehr der praktischen Anwendung, da wären Computer und Handelssysteme bzw. Geldmanagement und Handelsaktien. Das Kapitel Intermarkt-Analyse diskutiert den Welleneffekt, der vom Dollar ausgeht hin zu den Rohstoffen, zu Renten und Aktien. Hierbei wird nochmals die TA mit kleinen Modifikationen auf jeden Markt angewendet. Kapitel 18 geht auf spezifische Aktienmarkt-Indikatoren wie Arms-Index, Advance-Decline-Linie usw. ein. Im Abschlusskapitel “Pulling it all together” gibt es eine Checkliste mit Fragen, die sicher der Anleger beantworten sollte um zur richtigen Schlussfolgerung zu kommen. Nun das Buch ist noch nicht zu Ende, es gibt noch die drei Anhänge mit den Themen Fortgeschrittene technische Indikatoren, Market Profile und die Kernpunkte bei der Entwicklung eines Handelssystems. Mit dem 144-seitigem Workbook kann der Leser sein Verständnis für das Erlernte testen.
Das Buch ist ein ausgezeichnetes Lernbuch der TA, es ist verständlich geschrieben und mathematische Formeln werden fast keine verwendet. Der Autor ist in den meisten Fällen sehr zurückhaltend bezüglich Lobpreisung der TA-Strategie, was das Buch besonders seriös erscheinen lässt. In den fast 500 Seiten werden wahrscheinlich alle bekannten Chartmuster und statistischen Indikatoren sachlich beschrieben und an Beispielcharts gedeutet. Mir wurde mit diesem Buch bewusst, dass die Anwendung von TA mit den vielen Formationen und den Indikatoren sehr anspruchsvoll ist. Chartanalyse ist wirklich eine Kunst, diese Wahrnehmung erfährt der Leser in den Beschreibungen von Techniken, die des Öfteren die Wörter “ungefähr” und “gewöhnlich” enthalten. Für Anleger, die sich mit TA beschäftigen wollen, kann ich dieses Buch empfehlen. Ich bin aber auch der Meinung, dass dieses Buch nur der Einstieg in eine für Privatanleger zeitaufwändige Strategie sein kann. Mir fehlten beispielsweise Erklärungen, warum die Elliot-Wellen-Theorie funktionieren soll, ich müsste dies mit einem Handelssystem selbst prüfen. Wenn ich diese Strategie weiterverfolgen möchte, müsste ich mich jetzt mit dem Thema Handelssystem auseinandersetzen. Übrigens habe ich die Open Source Software AIOTrade benutzt, um ein bisschen mit den verschiedenen Indikatoren herumzuspielen.
Ich habe nicht die Begabung eines Warren Buffett, der das wertorientierte Investment so erfolgreich umsetzt auch nicht die Geschicklichkeit der berühmten Trendfolger. Ich hoffe, mit indexorientiert Investieren durchschnittliche Renditen zu erwirtschaften.