Die Banken haben bis zur Lehman Brothers Insolvenz die strukturierten Produkte sehr offensiv verkauft, dabei haben sie das Risiko für den Anleger ausgeblendet. Ob ein Produkt einfach ist, hängt zunächst von den Kenntnissen des Käufers ab. Ich bin mir fast sicher, dass für die meisten strukturierten Produkte nur wenige Privatanlegern geeignet sind. Schon nur bei den einfacheren Konstrukten wie den Anlagefonds bewies der grösste Teil der Privatanleger ihre Unwissenheit.
AXA Umfrage [1]
Die Privatanleger sind Anfänger in Sachen Geldanlage, das sind die Ergebnisse der AXA Investment Managers (AXA IM) Umfrage. Obwohl es sich bei dieser Umfrage über das Wissen von Fonds und nicht strukturierte Produkte handelt, finde ich die Resultate dieser Umfrage erwähnenswert.
Was wissen die Schweizer über Fonds? Dieser Frage ging AXA IM auch in diesem Jahr wieder mit einer bevölkerungsrepräsentativen Umfrage nach. Zum dritten Mal in Folge hat das Unternehmen das Meinungsforschungsinstitut TNS Infratest damit beauftragt, die Schweizer zu ihrem Wissen und ihrer Einstellung gegenüber Investmentfonds zu befragen. Erstmals wurde im Rahmen der Studie ein „AXA IM Wissensindex“ mit der Aufteilung der Befragten in Profis, Fortgeschrittene, Anfänger und Unwissende entwickelt.
Selbsteinschätzung
Ganze 52% stufen 2009 ihr Finanzwissen als gut oder sogar sehr gut ein. Die Schweizer halten sich somit für „Experten“ in Finanzangelegenheiten. Ein Trugschluss wie folgende Untersuchungsergebnisse zeigen. Der Vergleich mit anderen Ländern, wie Deutschland, Niederlanden und Österreich, zeigt deutliche Parallelen beim Wissensstand der Menschen. Am höchsten ist die Selbstüberschätzung in Niederland, dort schätzen 70% ihr Finanzwissen als gut oder sogar sehr gut ein, in der Schweiz und Österreich sind dies 52% und die Deutschen sind mit 47% am realistischsten.
Die Realität
Der Wissensstand der Schweizer bleibt mit lediglich 44 von 100 Indexpunkten auf dem niedrigen Niveau des Vorjahres. (2007: 51 Punkte). Knapp die Hälfte der Schweizer (48%) ist in puncto Geldanlage „Anfänger“, 18% sind sogar als „Unwissende“ einzustufen. Der Anteil der Fortgeschrittenen ist gegenüber dem Vorjahr nahezu stabil geblieben. (2009: 29 %, 2008: 27 %). 2007 waren es noch 46%. Auch die Anzahl derjenigen, die sich wirklich gut auskennen, die so genannten „Profis“, hat sich gegenüber dem letzten Jahr kaum verändert (2009: 5 %, 2008: 4 %, 2007: 8 %).
Exemplarisch einer der Fragen: 65% der Befragten stimmten der Falschaussage zu: „Wenn eine Fondsgesellschaft in Konkurs geht, verlieren Anleger ihr dort angelegtes Geld“. Elf Prozent antworteten mit „weiss nicht“. Somit wissen nur 24 Prozent der Schweizer, dass Fonds nicht zur Konkursmasse gehören. Offenbar ist in der breiten Bevölkerung nicht bekannt, dass Fonds als so genanntes „Sondervermögen“ von der Fondsgesellschaft verwaltet werden und die Gelder sogar getrennt bei einer Depotbank liegen.
Gemässe der Studie “Strukturierte Produkte in der Schweiz 2008: eine repräsentative Studie aus Anlegersicht” des Instituts für schweizerisches Bankwesen der Universität Zürich, von Mai/Juni 2008, kennen 60% der Bevölkerung die Strukturierten Produkte und gar 7% haben solche in ihrem Depot. Beinahe 50% der Besitzer von Strukturierten Produkte sind von ihrem Bankberater auf diese Anlageform aufmerksam gemacht worden. Die Zufriedenheit mit der Beratung lag auf einer Skala mit einem Maximalwert von 10 bei einem Durchschnittswert von 7.4.
Wie wären die Resultate, wenn diese Studie im Mai/Juni 2009 durchgeführt wurde, wahrscheinlich würden gewisse Resultate anders ausgefallen. Inzwischen hatten wir einen Emittentenausfall mit Lehman Brothers, zudem wurden bei vielen Produkten mit Barrieren diese auch durchbrochen, was meistens unerfreuliche Renditen für den Anleger bedeutet.
Offensive der Anbieter
Der Umsatzrückgang der strukturierten Produkte an der Derivatenbörse Scoach beläuft sich nach wie vor auf 40 bis 50%. Das ist natürlich nicht im Sinne der Anbieter, diese wollen auch in der Zukunft die versteckten Kommissionsgewinne einstreichen. Um das lukrative Geschäft der strukturierten Produkte wieder in Gang zu bringen, versucht es die Finanzbranche mit neuen Innovationen.
Neuer Emissionsprozess
Um die sinkende Nachfrage nach den strukturierten Produkten zu begegnen, wollen die Anbieter jetzt die Produkte ohne Zeichnungsfrist auf die Bedürfnisse des Anlegers zuschneiden. Professionelle Anleger und vermögende Privatkunden sind das Zielpublikum für diese massgeschneiderten Produkte. Früher, wenn die Bank oder die Bank zusammen mit einem Kunden ein strukturiertes Produkt erstellte, musste dies zur Zeichnung aufgelegt werden, die Zeichnungsfristen waren in der Regel 3 Wochen, erst danach konnte der Kunde das Produkt kaufen, dadurch entstand ein Timing-Risiko bezüglich des Basiswertes.
Neu können diese Produkte schon während des Kundengespräches online gestaltet und auf Knopfdruck abgeschlossen und in das Depot des Kunden eingebucht werden. Bei der UBS kann der Kundenberater schon ab einem Betrag von CHF 20′000, ein solches individuelles, illiquides strukturiertes Produkt zimmern.
Value at Risk
Der Schweizerische Verband für Strukturierte Produkte (SVSP) lancierte ab dem 1.07.2009 mit Value at Risk (VaR) eine Risikokennzahl für strukturierte Produkte. Diese Kennzahl wird täglich neu nach Börsenschluss berechnet und ist allen Marktteilnehmern zugänglich. Dabei werden die Produkte in eine von sechs Risikoklassen eingeteilt — von 1 (tief) bis 6 (sehr hoch).
Am 13.07.2009 waren 17665 Produkte bei SVSP mit VaR bewertet, davon fielen fast 78% in die Risikoklasse 6:
Korrekterweise darf erwähnt werden, dass die Kapitalschutzprodukte in die Risikogruppe 1 und 2 mit tiefem bis moderatem Risiko fallen, d.h. vergleichbar mit Obligationen.
Der VaR wird auf der Basis von historischen Daten der jeweils letzten 250 Handelstage, die täglich gerollt werden, auf 10 Tage hinaus berechnet und seine Wahrscheinlichkeit (Konfidenzintervall) ist auf 99% festgelegt. Für den VaR von strukturierten Produkten heisst dies: Mit einer Wahrscheinlichkeit von 99% bleibt der Verlust während der kommenden 10 Tage (für längere Perioden kann er nicht ausreichend zuverlässig geschätzt werden) unter dem angegebenen Wert. Ein VaR von 16% bei einem Produkt besagt, dass bei einem Einsatz von CHF 100.– der Verlust auf diesem Produkt unter dem gegebenen VaR Szenario nicht mehr als CHF 16.– betragen sollte. Selbstverständlich kann der Verlust geringer sein oder überhaupt nicht auftreten.
Fazit
Trotz der Innovationen der Anbieter bleiben die strukturierten Produkte für die meisten Privatanleger ein zu kompliziertes, illiquides und intransparentes Produkt. Auf Grund des asymmetrischen Auszahlungsprofils und den Volatilitäten, Basiswert, Restlaufzeit usw. ist die Wertentwicklung während der Laufzeit für die meisten Anleger nicht nachvollziehbar. Zudem mangelt es noch immer bei der Transparenz der Kosten.
Neuer Emissionsprozess
Es wäre interessant zu wissen, wie viel der Anleger an Kommissionen für ein solches individuelles Produkt an den Anbieter zahlt. Ich sehe zwei grosse Gefahren bei diesem neuen Emissionsprozess, erstens bei den hohen nicht nachvollziehbaren Kommissionen und bei der Illiquidität des Produktes.
Gerade die aktuelle Finanzkrise sollte auch den Banken eine Lektion in nicht mehr funktionierende bzw. zustanden gekommene Märkte gewesen sein. Die Auction rate security (ARS) ist nur eines der vielen Beispiele, für nicht mehr funktionierende Märkte, diese Wertpapiere wurden als der Markt noch funktionierte von Privilegierten während Auktionen gehandelt.
Der Anbieter wird einen Preis für das strukturierte Produkt während der Laufzeit stellten, fragt sich nur, wie fair dieser Preis ist. Ich bin aber grundsätzlich ein Gegner von illiquiden Produkten, ich vermeide auch Obligationen, die nur mässig gehandelt werden, obwohl das Rendite-Risiko-Verhältnis optimaler wäre.
VaR
Sicherlich wurden mit VaR erhebliche Fortschritte bezüglich der Marktrisiken von strukturierten Produkten erzielt. Das Emittentenrisiko wird mit diesem SVSP-VaR aber kaum erfasst, d.h. die Risikokennzahl hätte den möglichen Ausfall von Lehman Brothers bei ihren Kapitalschutz-Produkten nicht erkennbar gemacht. Bei der SVSP kann das Emittentenrisiko mit der Emittentenbonität der Mitglieder der SVSP besser abgeschätzt werden, siehe Emittentenbonität. Am besten kann das Emittentenrisiko über den Credit-Spread ermittelt werden, der als Indikator für die aktuelle Bonität des Schuldners dient.
[1] Umfrageergebnisse: Die Schweizer und ihr Wissen über Fonds